Alleine für diesen Ausblick hat sich das frühe Aufstehen und die Anreise nach Val Gardena in Südtirol gelohnt. Es ist etwa halb acht, die Sonne geht langsam auf, mein Blick schweift über ein prachtvolles, leicht wolkenverhangenes Bergpanorama. Zur Rechten breitet sich vor meinen Augen, das beeindruckende Sella-Massiv, auch bekannt als Sellastock, aus. Ein Plateau von seltener majestätischer Schönheit. Im Winter bekommen diese Berge der Dolomiten, die seit ein paar Jahren mit zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen, durch den Schnee noch einmal eine ganz eigene, verträumte Note.

@Simon Demez

Simon Demez, der mich in den nächsten Tagen begleiten wird, beschreibt mir als Ortskundiger in einem kurzen Abriss, die sich vor mir ausbreitenden landschaftlichen Szenerien. Knapp unter uns befindet sich das Grödner Joch, in der Ferne ist der Langkofel auszumachen. Dieser präsentiert sich uns in einem wundervollen Morgenlicht. Der schneebedeckte Gipfel mit seinen 3.181 Metern leuchtet rot. Es sind im ersten Moment fast schon zu viele landschaftliche Einrücke. Diese lassen sich jedoch in einem Wort zusammenfassen: Atemberaubend!

Earlie-Birds auf leeren Pisten

Doch spulen wir etwas zurück. Am Abend zuvor bin ich mit dem Auto von München aus kommend in Wolkenstein angereist und habe einen kulinarisch wunderbaren ersten Abend im Hotel Alpenroyal verbracht. Nun, nach ein paar Stunden wohligem Schlaf, stehe ich an einem sehr frischen Januarmorgen mit Simon auf knapp 2.300 Metern Höhe und darf die Aussicht auf die Dolomiten geniessen. Wir sind beide dick eingemummelt, ein leichter Wind geht, die Temperaturen liegen bei Minus 15 Grad. Noch fast im Dunklen sind wir in Wolkenstein gestartet und Richtung Bergstation Dantercepies aufgebrochen. Für uns bot sich die Möglichkeit, vor dem eigentlichen Liftbetrieb, bereits um kurz nach sieben Uhr per Gondel dorthinauf zu fahren. Eine Earlybird-Chance, die ich mir nicht entgehen lassen wollte. Was mich dort erwartet, fasst Simon kurz und knapp auf dem Weg nach oben zusammen: bestens präparierte, leere Pisten für etwa eine dreiviertel Stunde und die bereits beschriebene, einmalige Aussicht. Bingo, Skifahrerherz, was willst du mehr?

Bevor es auf die erste Abfahrt des Tages geht, schnell noch ein paar Bilder fürs heimische Fotoalbum gemacht, los geht‘s! Wir wollen die Gunst der Stunde nutzen und die „Cir“-Piste von Dantercepies nach Wolkenstein abwedeln. Die Strecke ist Teil der ehemaligen Weltcup-Damenabfahrt. Bei einer Neigung von durchschnittlich 27,76 % gilt es auf den nächsten knapp drei Kilometern einen Höhenunterschied von 675 Metern zu überwinden. Der erste Schwung geht bei mir noch etwas daneben, doch dann lassen wir auf den harten, aber bestens präparierten Hängen unsere Skier laufen. Auf dem Weg nach unten sind wir tatsächlich nahezu alleine. Wunderbar, so darf es gerne weitergehen.

©Simon Demez

Unendliche Pistenlandschaft

Für die weitere Tagesplanung hat mir Simon die Sella-Umrundung, besser bekannt als Sellaronda, vorgeschlagen. Da gab es von meiner Seite aus keine Widerworte, zählt diese doch zu den bekanntesten Skikarussells der Welt. Auf der Skikarte ist die jeweilige Route der Sellaronda in orangener Farbe für ein Befahren im Uhrzeigersinn und in grüner Farbe für die entgegensetzende Uhrzeigerrichtung markiert. In welcher Richtung diese befahren wird ist letztlich egal. Wir haben uns für die orangene Route entschieden, welche uns von Wolkenstein, über das Grödner Joch, nach Corvara, von dort nach Campagnolo und Arabba, hinauf zum Pordoijoch, weiter nach Pian Frataces Richtung Sellajoch und schließlich wieder nach Wolkenstein führen wird.

Um die Sellaronda gut zu bewältigen, schadet eine gute Grundkondition sicherlich nicht, schließlich müssen etwa 26 Pistenkilometer bewältigt werden. Vom geforderten Fahrkönnen her, würde ich den Schwierigkeitsgrad der gesamten Runde bei Mittelschwer einstufen. Nicht ganz unwichtig, eine gute Zeitplanung. Die Empfehlung wäre, vor 10 Uhr morgens aufzubrechen, damit die Abfahrten unbeschwert genossen werden können, und einem gegen Ende der Tour verschlossene Liftanlagen einen Strich durch die Rechnung machen. Für die gesamte Sellaronda sollten in etwa 6 Stunden eingeplant werden, inklusive Abfahrten, Aufstiege und Pausen. Als Startpunkte eignen sich die Orte: Campitello, Canazei, Arabba, Corvara und Wolkenstein.

@Simon Demez

Und so schwingen Simon und ich an diesem Tag die zahlreichen Hänge rund um das Sella-Massiv hinunter. An manch einem Ort, wie zum Beispiel am Pordoijoch, erkunden wir das dortige Skigebiet genauer. Hier bietet sich der wunderbare Blick auf den Marmolata, mit 3.343 Metern der höchste Berg der Dolomiten und Teil der Marmolatagruppe. Schließlich, gegen Mittag durchdringt die Sonne mehr und mehr die Wolkendecke. Immer wieder bieten sich überraschende Blicke auf die sehr unterschiedliche Bergwelt der Dolomiten. Das Skigebiet bietet Einsteigern, Fortgeschrittenen, Kindern und Familien ein wahrhaft riesiges Angebot an bestens präparierten Pisten. Alles ist dabei, von leicht bis schwer.

No Stress – liften leicht gemacht

Aufgrund der Weitläufigkeit ist auch an andrangstarken Tagen ein entspanntes Skifahren möglich. Auch an den Liften sind die Anstehzeiten vergleichsweise gering. Hier machen sich die Investitionen der letzten Jahre, in eine Modernisierung der Liftanlagen, bezahlt. Schlepplifte gibt es fast nur noch an Übungshängen, ansonsten überwiegen Sesselliftanlagen, an denen teilweise bis zu acht Personen pro Fahrt mitgenommen werden können. „Die Gäste nehmen das gerne an. Sowohl den Komfort, als auch die schnellen Lifttransporte“, sagt Simon, der aufgrund seines Jobs als Skilehrer tag ein tagaus mit vielen Gästen, in dem sehr weitläufigen Skigebiet, unterwegs ist.

Sogar beheizt sind manche Sessel. Ein Bonbon, welches ich an diesem sehr kalten Skitag schätzen gelernt habe. „Manchmal“, ergänzt Simon schmunzelnd, „werden die Skifahrer durch die neuen Liftanlagen fast zu schnell von A nach B bewegt. Es gibt doch so vieles anzuschauen, während man im Lift nach oben fährt.“. Ein gutes Beispiel in diesem Zusammenhang – die von uns befahrene Sellaronda. Brauchte man früher den gesamten Tag um das Massiv zu umrunden, ist es heute dank gut vernetzter Pisten und Liftanlagen in sehr viel kürzerer Zeit zu schaffen. Dennoch genügend Zeit, um sich mit dem gebürtigen Wolkensteiner Simon auszutauschen und ihm ein paar Informationen über seine Heimat zu entlocken.

Tradition trifft Moderne

So erzählt mir der 34-Jährige, dass sich die Ausrichtung des Skigebietes gerade in den letzten Jahren stark verändert hat. Die Region möchte verstärkt Familien ansprechen. Gab es früher noch viel Aprés-Ski-Tam-Tam, sind die Orte heute vergleichsweise ruhig. Natürlich gibt es noch die Möglichkeit des Einkehrschwungs, der Spagat, sich etwas mehr auf Familien zu konzentrieren und dennoch die Jugendlichen nicht außen vor zu lassen, scheint jedoch aufzugehen. Damit die Gäste sich wohlfühlen bieten Hoteliers und Gastronomen ein variantenreiches Angebot. Neben Angeboten für Freunde der Wellness und Familien, halten die Gastronomiebetriebe, gerade für Fans der gehobenen Kulinarik, das ein oder andere Gaumenfeuerwerk bereit.

@Simon Demez

Die Südtiroler Küche, per se schon bekannt für ihre sehr ausgewogenen und schmackhaften regionalen Speisen, wird dank der interessanten Verschmelzung mit internationaler Küche weiter veredelt. Spitzenköche, dekoriert mit Hauben und Michelin-Sternen, verwöhnen ihre staunenden Gäste. Dazu noch ein heimischer Wein und schon bekommt der Abend eine feine Extra-Note. Das Tolle, diese Köstlichkeiten gibt es nicht nur in den Restaurants  in Val Gardena. Auch auf zahlreichen Hütten entlang des Sella-Massivs, darf sich während der Mittagszeit, auf eine herausragende Küche gefreut werden.

Überhaupt ist die Mischung aus Tradition und Moderne, auf und abseits der Pisten, stets präsent. Im Grödnertal gingen die Menschen einst beruflich der Holzschnitzerei nach, einem traditionsreichen Handwerk, welches sich auch heute noch in den zahlreichen ortsansässigen Läden für diese Handwerkskunst bewundern lässt. Diese Kunst spiegelt sich auch in der heutigen Architektur wieder. Zwar werden die Häuser weitestgehend in einem traditionellen Stil gehalten, Holzschnitzereien und Naturmaterialien vermischen sich jedoch mit modernen Baustoffen und prägen so das „neue“ Aussehen der ursprünglichen Dörfer.

Um Traditionen zu erhalten, sei es wichtig, dass die jungen Leute Val Gardena nicht auf Dauer verlassen, erklärt mir Simon, der weiß wovon er spricht. Als er seinen Traum ein professioneller Skifahrer zu werden aufgrund von Verletzungen aufgeben musste, entschied er sich, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten und Skilehrer zu werden. Der junge Familienvater wuchs als einer von acht Geschwistern in Wolkenstein auf. „Für Kinder und Familien ist es ein ganz besonderer Ort“, sagt Simon. „Diese können unbeschwert und sicher aufwachsen, haben die schönste Natur als Spielplatz. Je älter ich werde, und so geht es den meisten Ur-Grödnern, desto mehr weiß man die ursprüngliche Heimat zu schätzen.“

Ladinisch ist nicht italienisch

Er erklärt mir auch eine eine weitere Besonderheit der Gegend, die es zu erhalten gilt – die ladinische Sprache. Diese wird von etwa 30.000 Menschen gesprochen und ist als Minderheitensprache in Italien offiziell anerkannt. Vom Klang stellt man sich am besten eine Mischung aus Italienisch und Deutsch vor, eine Mixtur aus romanischen Dialekten. Immer wieder angenehm und interessant, was man so alles von Einheimischen erfährt und sich auf Gespräche einlässt.

Durch die Gespräche gestalten sich auch die Liftfahrten und Pausen recht kurzweilig. Und so bewältigen wir die knapp 26 Pistenkilometer der Sella-Umrundung, plus ein paar Extra-Kilometer, mit einer ausgedehnten Mittagspause im gemütlichen und äußerst schmackhaften Restaurant Fienile Monte, in knapp 5 Stunden. Einen äußerst gelungenen Skitag lassen wir schließlich bei einem Bierchen im Luislkeller ausklingen. Assudëi, auf ein Wiedersehen, Val Gardena!

Die Reportage erschien ursprünglich im SkiMagazin 4/19 und SkiMagazin Exklusiv 1/20

Die Bilder  aus Val Gardena stellte mir Simon Demez netterweise zur Verfügung.

@Simon Demez